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Und richtig, nach zwei Minuten ertönte es wiederum: »Sie!«
Hans hatte den Humor verloren. Einen Wehrlosen aufzuziehen, das war schon was Rechtes.
Der Fall Luck fiel ihm ein.
»Sie - wollen Sie vielleicht eine Zigarette?«
Und schon erschien eine im Guckloch. Hans sprang auf und grapschte danach. Aber weg war
sie.
»Sie dürfen ja gar nicht rauchen. Das ist verboten im Karzer. Aber wir können Ihnen was
vorrauchen.«
Hans zermarterte sein Gehirn. Was mögen das für Mädchen sein?
Während er überlegte, erschien ein Mund im Gucklock, und gespitzte Lippen bliesen eine
dicke Wolke in den Raum. Dann ein anderer Mund, der dasselbe tat. Dann ein dritter. Immer
abwechselnd, mit gespitzten Lippen Rauch blasend. Ein herzförmiger, ein kirschförmiger und
ein kußförmiger.
Der kleine Raum war schnell mit Rauch erfüllt.
»Eva, jetzt müßte dein Vater kommen«, jubelte es draußen.
»Dann kriegt er noch mal Karzer, weil er geraucht hat.« Aus dem Direktor machte sich Hans
herzlich wenig. Aber diese Lippenparade ging allmählich über seine Kraft.
»Meine Damen, ich warne Sie!« Die Damen ließen sich nicht warnen. Sie spitzten ihren
Mund noch spitzer und bliesen noch emsiger. Ein kirschförmiger, ein herzförmiger und ein
kußförmiger.
Jetzt hat es geschnappt, denkt Hans, kauert sich unhörbar an der Karzertür nieder und wartet.
Zum Sprung geduckt wie ein Panther. Und im selben Augenblick, wo wieder eins der Mädel
den Mund durchs Guckloch steckt, hat Hans von innen das gleiche getan - und fühlt zwei
Lippen auf den seinen. Herz, Kirsche oder Kuß?
Am Abend dieses denkwürdigen Tages schrieb Hans folgenden Brief:
Liebste Marion, ich danke Dir für Deine Briefe. Aber ich kann jetzt unter keinen Umständen
zurückkommen. Hier ist es herrlich. Ich habe auch noch viel zu lernen. Frau Windscheid
gefällt mir immer besser, und es ist auch sehr viel los hier. Heute habe ich den Sohn unseres
Direktors kennengelernt. Ein reizender Kerl, furchtbar lieb und drollig. Wir werden uns
vielleicht häufiger treffen.
In Treue Dein Hans. Bei dem Wort -Treue« streikte die Feder. Aber es half ihr nichts.
Mit Hans Pfeiffer ging eine seltsame Veränderung vor. Er wurde eitel.
Seine Jünglingsanzüge von der Stange waren ihm auf einmal nicht mehr gut genug. Er ließ in
Babenberg neue Anzüge machen; sie wurden nicht so wie von seinem Berliner Maßschneider,
aber immerhin menschenwürdig, und waren auch in den Ärmeln nicht zu kurz. Er kaufte sich
eine neue Schülermütze, eine in Luxusausführung, und verwandte geraume Zeit darauf, in den
Mützenrand die Kniffe zu bringen, die gerade in Mode waren. Er trug auch wieder seine alte
Schildpattbrille, rasierte sich zweimal am Tage, eine selbst für einen Pennäler ungewöhnliche
Maßnahme, und stand stundenlang vor dem Spiegel, um mit harter Bürste und viel Pomade
sein kurzgeschnittenes störrisches Haar nach hinten zu legen. Er kaufte sich sogar einen
unternehmungslustigen Spazierstock, ein Bambusrohr mit einem Silberring. Mit einem Wort,
er wurde ein Dandy unter den Primanern. Der lange Rosen verblaßte neben ihm.
Dem mütterlichen Auge der Frau Windscheid blieb diese Wandlung nicht verborgen. Sie war
keineswegs erbaut davon. »Das hat man nicht gern, wenn die Kinder plötzlich eitel werden.
Der meine fing auch so an.«
Seine Klassengenossen staunten und stießen sich heimlich in die Seite. »Aha«, tuschelten sie,
»er nimmt langsam Schliff bei uns an.«
Auch sonst zeigte er allerhand Anzeichen beginnender Kultur. Vor allen Dingen wurde er
faul.
Einmal widerfuhr es ihm, daß er sich gut vorbereitet hatte. Und nicht dran kam. Darüber
ärgerte er sich gewaltig und beschloß, dafür zu sorgen, daß ihm das nicht noch einmal
passierte. Ein anderes Mal hatte er infolge eines katastrophalen Versehens eine erst für
Mittwoch fällige Übersetzung schon für Dienstag angefertigt. Als er das merkte, bekam er
einen Wutanfall und zerriß die Arbeit in kleine Stücke.
Er entwickelte allmählich ein ausgeklügeltes System der Faulheit. Hausarbeiten wurden ganz
grundsätzlich in den Schulstunden hinter dem deckenden Rücken des Vordermannes erledigt;
im Notfall auch während der Pause an einem Ort, wo die Luft rein war. Wenn dann aus
irgendeinem Grund einmal eine spätere Stunde vorverlegt wurde, kam er trotzdem nicht in
Verlegenheit; dann nahm er seinen Farbkasten und beschmierte sich das Gesicht grauenvoll
mit Zinnober und ließ sich wegen Nasenblutens nach Hause schicken. Klassenarbeiten schrieb
er vom kleinen Luck ab und bekam häufig eine bessere Note als Luck selbst, worüber er sich
aber keineswegs wunderte. Als Schriftsteller war ihm längst bekannt, daß ein Plagiat oft mehr
einbringt als das Original. [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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