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das Wasser, das am Fuß des Wehrs sprudelte und schäumte. Im
schrägen Abendlicht sah er die Linien im Holz des Geländers,
Linien, die lange parallel liefen, bevor sie sich in einem Knoten
verquirlten und eine neue Richtung nahmen.
»Wenn du auf einem Weg nicht weiterkommst, dann versuch
einen anderen«, hatte sein Vater oft zu ihm gesagt. Er war
Polizist gewesen. Ein sehr guter Polizist und ein konsequenter
und anständiger Mann, dessen Ratschläge Benno selbst während
der Pubertät nicht ausgeschlagen hatte. Er drehte sich um und
ging über die Brücke zur Staatsanwaltschaft.
In seinem Büro setzte er sich an den Schreibtisch und zog den
Aktenwagen mit dem Material, das die Spurensicherung aus
dem Schreibtisch im Wohnzimmer der Toten geborgen hatte, zu
sich heran. In der ersten Schachtel waren Briefe, stapelweise
Briefe an den »Lieben Arthur«, ein kleines Bündel an die »Liebe
Elfi«, der letzte aus dem Jahr 1995 von »Deiner Dich liebenden
Freundin Ellen«. Seit so vielen Jahren kein weiterer Brief? Als
Nächstes zwei Schuhkartons voller Fotos. Wo nahm die
Spurensicherung nur all diese Schuhkartons her? Auf den
meisten Fotos war eine sehr schöne Frau zu sehen, und Benno
brauchte eine Weile, bis er diese Frau mit der Toten am
Küchentisch in Verbindung brachte, bis er begriff, dass es sich
bei der Frau auf den Fotos um Elfi Rothammer handelte: Elfi
mit Kopftuch und Sonnenbrille in der geöffneten Tür eines
Porsche, Elfi in Caprihose und weit ausgeschnittenem Top auf
der Kühlerhaube des Porsche, Elfi mit Bikini an einem weißen
Sandstrand, Elfi mit riesigem Hut und elegantem Kostüm vor
Pferden im Hintergrund, Elfi im langen Samtkleid in Bayreuth.
Viel Geld war auf diesen Bildern zu sehen: teure Kleider, teure
Schuhe, teurer Schmuck, Autos, Segelyachten, Urlaubsorte und
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immer wieder das Haus am Nonnengraben, die Treppe, die
Antiquitäten, der Garten, gepflegt, geschmückt und vorgezeigt.
Benno nahm eines der kleinen braun- und blaustichigen Fotos
mit den gezackten Rändern nach dem anderen in die Hand und
überlegte, woher sein wachsendes Unbehagen kam, eine
namenlose Traurigkeit, die rund um die Lichtpfütze seiner
Schreibtischlampe aufstieg wie Nebel. Auf einigen wenigen
Bildern war ein Mann zu sehen: groß, schlank, elegant, mit
einem Gesicht, das vor lauter Beherrschung hochmütig wirkte.
Das musste Herr Rothammer sein. Nur auf zwei Fotos war er
allein abgebildet, auf den anderen posierte er mit dem, was er
auf den übrigen Bildern präsentierte: sein Haus, seine Autos,
sein Pferd und seine Frau, ein schöner Gegenstand wie die
anderen. Jetzt wusste Benno, was ihn so traurig machte. Die
Frau auf den Bildern wirkte wie die Models in den
Modezeitschriften  gezeigt wurden die Kleider und der
Schmuck und die Frisur, aber nicht der Mensch.
Benno holte sich den nächsten Karton auf den Schreibtisch,
auf dessen Deckel »Von der Schreibtischplatte« stand. Er
enthielt lediglich ein paar Werbeprospekte und einen kleinen
Zettel mit der Aufschrift »Für das Mädchen und den Kleinen«.
Deutlich interessanter war die Schachtel, die den Inhalt der
Schreibtischschublade mit den amtlichen Dokumenten barg.
Benno hatte das schon bei der Untersuchung einer Reihe von
Nachlässen beobachtet: Mit Schubladen konnten die Menschen
etwas anfangen, Ordnung in ihr Leben bringen  eine Schublade
für Rechnungen, eine für Garantiescheine und Gebrauchsanwei-
sungen, eine für Offizielles und eine für Krimskrams, der in
keine Kategorie passt. Die »offizielle« Schublade von Elfi
Rothammer enthielt ihre Geburtsurkunde, ihren Pass, ihre
Heiratsurkunde mit Arthur, Arthurs Totenschein und sein
Testament.
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»Ich, Arthur Rothammer, im Vollbesitz meiner geistigen und
körperlichen Kräfte, bestimme hiermit als meinen letzten
Willen:
1. Meine Schwester erhält das nach meinem Tod
vorhandene Vermögen, ausgenommen die unter 2. und 3.
genannten Anteile und alle meine Bücher und Aufzeichnungen.
Die Nachlassverwalter sollen alles tun, um meine Schwester,
deren Aufenthaltsort mir seit zehn Jahren unbekannt ist, zu
finden. Das Geld für die Suche liegt auf einem Konto der
Stadtsparkasse Bamberg bereit. Siehe Anlage.
2. Frau Anneliese Kurt erhält ein Fünftel meines nachgelas-
senen Vermögens, festgelegt in mündelsicheren Papieren. Siehe
Anlage.
3. Frau Elfi Rothammer erhält ihren Pflichtteil als Ehefrau
und das lebenslange Wohnrecht in meinem Haus am
Nonnengraben.
4. Unberührt von diesen Verfügungen bleibt die 1979 ins
Leben gerufene Arthur-Rothammer-Stiftung, als deren
Verwalter und Stiftungsvorstand ich meinen Freund Rechtsan-
walt Norbert Böschen bestimmt habe. Die Stiftung wurde bei
der Stadt Bamberg eingetragen. Siehe Anlage.«
Benno pfiff leise durch die Zähne. Oha, das war ja interessant.
Da gab es eine Ehefrau, die »Frau Elfi Rothammer« genannt und
praktisch enterbt wurde. Da gab es eine verschollene Schwester
und eine weitere Frau, Anneliese Kurt, die zusammen genauso
viel erhielten. Ob diese Frau vielleicht eine ehemalige Geliebte
war? Ob es da vielleicht Nachkommen von Arthur Rothammer
gab, von denen man bisher nichts wusste? Und von einer
Arthur-Rothammer-Stiftung hatte Benno noch nie etwas gehört.
Das gab viel Arbeit. Die Polizei sollte morgen als Erstes
Nachforschungen über die Schwester und die restliche Familie
anstellen. Werner konnte sich diese Anneliese Kurt vornehmen.
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Er selbst würde mit dem Stiftungsreferenten sprechen und dann
mit Rechtsanwalt Böschen.
Auf dem Heimweg schaute Benno zu einem Stern hinauf, der
blinzelnd zwischen zwei Schornsteinen hing, und dachte: Diese
Spur scheint heiß zu sein. Möglicherweise bringt sie viel mehr
als die Kleine mit den grünen Haaren. Auch wenn man das
natürlich weiterverfolgen muss.
Er kickte ein Steinchen vor sich her und versuchte nicht daran
zu denken, wie unmöglich er sich gemacht hatte. Und nicht an
diejenige, vor der er das getan hatte. Und schon gar nicht an die
sanfte Kurve zwischen ihrem Ohrläppchen und ihrem
Wangenbogen. Von anderen Kurven ganz zu schweigen.
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Hanna blinzelte die Tränen weg und biss die Zähne zusammen.
So ein Idiot, so ein Mistkerl! Was für eine dumme Kuh sie doch
war! Wie hatte sie sich nur so täuschen können. Sie hatte
wirklich geglaubt, ihm vertrauen zu können. Einem Staatsan-
walt! Aber dem würde sie es zeigen! Nichts brachte sie so in
Rage, wie wenn jemand ihre Intelligenz in Frage stellte.
Gebrauch doch deinen Verstand, falls da einer ist & O ja, Herr
Staatsanwalt, das wollen wir doch einmal sehen, was wir mit
unserer weiblichen Intuition herausfinden. Tanja ist keine
Mörderin!
Sie stand auf, um die Gläser wegzuräumen. So viel zu
vertrauensbildenden Maßnahmen! Zornig diskutierte sie in
Gedanken weiter mit Benno. Als sie den Kopf zurückwarf, um
ihn mit einer feurigen Suada zu vernichten, stieß sie sich den
Wangenknochen am Eck des Hängeschranks. Das tat höllisch
weh. Sie sank auf einen Küchenstuhl und hielt sich den nassen
Spüllappen ans Gesicht. Ihr Zorn wurde dadurch nicht geringer.
In Ermangelung geeigneterer Ziele für eine Misshandlung nahm
sie einen Zettel, der auf dem Küchentisch lag, und zerknüllte
ihn, noch mal und noch mal. Sie wollte den kleinen Papierball
gerade wegwerfen, als ihr etwas einfiel. Das war doch die Notiz
mit der Telefonnummer des Arbeiterwohlfahrtsheims. Sie hatte
die Heimleitung gebeten, Frau Kurt zu sagen, dass sie, Hanna,
gern am Abend vorbeikommen würde. Das hatte sie über der
Aufregung mit Benno vollkommen vergessen. Gottlob war ihr
Gespräch ja nicht sehr ausführlich gewesen. Es war nicht einmal
acht Uhr. Sie konnte es noch rechtzeitig schaffen. Hanna packte
ihr kleines Diktiergerät und ihren Schreibblock ein und fuhr
hinaus nach Bamberg-Ost.
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Anneliese Kurt wohnte im achten Stock. Der Blick auf die
Hügelkette im Westen, deren Rand die untergegangene Sonne
silbern zeichnete, unterbrochen von den Türmen der Stadt,
entschädigte für die hässliche Nüchternheit des Treppenhauses
mit seinen Glasbausteinen und für die Enge des Zimmers, dem
seine Bewohnerin eine rührende Gemütlichkeit gegeben hatte.
Anneliese Kurt war eine kleine weißhaarige Frau mit rosiger, [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

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